25 Jahre Pflegeversicherung: Die Heimlobby wünscht sich zum Jubiläum (noch) mehr Geld

7. Januar 2020 | Autor: Christoph Lixenfeld

Pünktlich zum runden Geburtstag preist der bpa, Deutschlands größte Interessenvertretung privater Altenheime und Pflegedienste, die Versicherung als „Meilenstein in der Sozialgesetzgebung“. Allerdings verbindet der Verband sein Lob mit einer Forderung. Und die hat es in sich.

© Andrea Kueppers

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Es geht um die sogenannten Investitionskosten der Pflegeheime. Gemeint sind Ausgaben für den Bau und die Nutzung des Gebäudes – und die Verzinsung dieser Ausgaben. Denn wer investiert, der will am Ende eben etwas daran verdienen. Das gilt natürlich auch für die Heimbranche.
Bernd Meurer, Präsident des bpa (und selbst Betreiber dreier Heime) erinnert in diesem Zusammenhang an einen vor 25 Jahren erzielten Kompromiss. Der lautete: Kommunen und Landkreise sparen – der Pflegeversicherung sei Dank – bei der Sozialhilfe für Heimbewohner, dafür übernehmen die Länder die Investitionskosten der Heime und unterstützen so den zügigen Ausbau der stationären Infrastruktur.

Nur drei Länder bezuschussen Investitionen

„Leider sind die Länder bis auf wenige Ausnahmen bis heute dieser Verpflichtung nicht nachgekommen“, so Meurer in der Pressemitteilung weiter, „und die Pflegebedürftigen werden dadurch zusätzlich belastet“.
Zunächst: Der bpa-Präsident hat Recht, es gab die beschriebene Verabredung. Und tatsächlich halten sich lediglich drei von 16 Bundesländern daran: Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Hamburg, Niedersachsen und das Saarland, die in der Vergangenheit ebenfalls Investitionen bezuschussten, haben diese Leistung mittlerweile wieder gestrichen, in allen anderen gab es sie nie.
Aus meiner Sicht wäre es aber strukturpolitisch ein schwerer Fehler, übernähmen in Zukunft sämtliche Bundesländer die Investitionskosten. Um zu erläutern, warum, braucht es einen Blick in die Geschichte der Pflegeversicherung, einen auf die nackten Zahlen – und auf die Situation in Nordrhein-Westfalen.

Mehr als 40 Prozent Sozialhilfeempfänger

Zur Geschichte: Tatsächlich war der Anteil der Sozialhilfeempfänger unter den Heimbewohnern nach Einführung der Pflegeversicherung zunächst gesunken. Aber ab 1999 stieg er erneut an, heute beträgt er wieder mehr als 40 Prozent. Von einer Entlastung der Sozialhilfeträger „in Milliardenhöhe“, auf die sich der Lobbyverband bpa beruft, kann also immer weniger die Rede sein. Das gilt erst recht, wenn man die Wirkung einer Gesetzesänderung einbezieht, die seit Beginn dieses Jahres gilt. Danach müssen nur noch Kinder Unterhalt für ihre im Heim lebenden Eltern leisten, die mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen. Das sind lediglich sechs Prozent aller Einkommensbezieher. In allen anderen Fällen schießt das Sozialamt zu, wenn Rente und Vermögen des Pflegebedürftigen nicht reichen, um sein Leben im Heim zu finanzieren.
Der Deutsche Städtetag schätzt, dass dadurch Mehrkosten von bis zu einer Milliarde Euro entstehen. Spätestens wenn sich diese Prognose bewahrheitet kann von einer Entlastung der Sozialhilfeträger durch die Pflegeversicherung überhaupt keine Rede mehr sein.
Folglich besteht dann noch weniger Anlass als bisher schon, neben den Beiträgen der Versicherten zusätzliches Steuergeld in Milliardenhöhe ins System zu pumpen.

Mehr als eine Milliarde Steuergeld

Denn über einen solchen Betrag reden wir hier: Erstatten alle Länder Heimbewohnern die im Durchschnitt anfallenden Investitionskosten der Heime, dann bezahlt die Öffentliche Hand in Summe noch einmal mehr als eine Milliarde Euro zusätzlich pro Jahr.
Käme dieses Geld tatsächlich den Pflegebedürftigen zugute, könnte man noch darüber diskutieren. Aber danach sieht es nicht aus. Womit wir beim dritten und letzten Punkt der Argumentation und bei Nordrhein-Westfalen sind. Das bevölkerungsreichste Bundesland ist heute das einzige, das die Investitionskosten der Heime in voller Höhe – also ohne Obergrenze – ausgleicht, und zwar in Form von sogenanntem Pflegewohngeld. Dabei handelt es sich zum Teil um Zuschüsse von mehr als 800 Euro pro Bewohner und Monat.

Mit niedrigeren Heimpreisen ist nicht zu rechnen

Folgt man der Logik des Lobbyverbandes bpa, dann müsste dieser Betrag die Pflegebedürftigen in der Art entlasten, dass sie für ihren Heimplatz – über die Leistungen der Pflegeversicherung hinaus – weniger zuzahlen müssen als woanders.
Bemerkenswerterweise ist das aber nicht der Fall: Nirgendwo in Deutschland sind Heime so teuer wie in NRW. So teuer, dass die Bewohner trotz des Zuschusses vom Land nicht weniger, sondern mehr zuzahlen müssen als in den meisten anderen Bundesländern.
Offenbar kommen die öffentlichen Mittel also eher den Heimbetreibern und ihren Investoren zugute als den Pflegebedürftigen
Insofern habe ich berechtigte Zweifel daran, dass in irgendeinem Bundesland die Heimpreise auch nur um einen einzigen Euro sinken werden, nachdem sich dieses Land dazu entschlossen hat, anders als bisher die Investitionskosten der Heime zu begleichen. Allenfalls würde vielleicht der Anstieg dieser Preise – er war gerade in den neuen Bundesländern zuletzt drastisch – etwas verlangsamt…

Ein fehlkonstruiertes System ist nicht zu retten

Und nicht nur die privaten Heimbetreiber, sondern auch die freigemeinnützigen (AWO, Caritas, Diakonie etc.) fordern Investitionszuschüsse aus Steuermitteln.
Wie sich Lobbyverbände ansonsten die Zukunft der Pflegeversicherung vorstellen und warum diese Vorstellungen allesamt ungeeignet dazu sind, ein marodes, von Grund auf fehlkonstruiertes System zu retten, das steht in dem Buch „Schafft die Pflegeversicherung ab!“, das am 28. Januar bei Rowohlt erscheint.

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